Das Gesundheitswesen der Zukunft wird geformt durch ein neues Wir

Die Frage „Ist New Work auserzählt?“ von Markus Väth brachte mich zum Nachdenken. Die Blogparade #NewWorkNow ist eine Einladung zur durchaus selbstkritischen Beschäftigung mit den Fragen: Wo stehen wir, wo wollen wir hin – und warum eigentlich?

Ich bin davon überzeugt: Im Gesundheitswesen ist New Work noch lange nicht auserzählt. Im Gegenteil: Es wurde gerade erst damit begonnen, Kanäle, Formate und Räume zu finden und zu füllen. So vielfältig das Gesundheitswesen ist, so vielfältig ist auch die Bewegung rund um neue Arbeit, die von innen heraus entsteht. #NewWorkNow im Gesundheitswesen steht für eine Aufbruchstimmung, die den Elementen neuer Arbeit Antrieb und Sichtbarkeit verleiht – und das so selbstbewusst wie noch nie. Dies geschieht mit einer Kraft, die sich unter dem Hashtag #NewWeNow zusammenfassen lässt: Der Kraft eines neuen Wir.

„Wir habens ja nicht so mit Anglizismen“ – New Worker, ob im Krankenhaus oder anderen Gesundheitsorganisationen, sind nicht selten in fragende Gesichter blickende, übersetzende, vermittelnde und in ihren traditionell geprägten Umfeldern manchmal auch einsame Gestalten auf weiter Flur. In übergreifenden Communitys und Autor:innenschaften finden sie ihresgleichen, teilen Visionen, Ideen und Erfolge und lassen diese von dort aus in alle Richtungen strömen. Wozu aber tun sie das?

Bleiben wir beim Gesundheitswesen: Kein Patient würde ohne spezielles Anliegen zum Arzt gehen und sagen: „Wissen Sie, ich habe gerade Zeit und Lust, mal was Neues auszuprobieren. Sie haben doch sicher eine Idee?“ Nein, im Regelfall kommt er mit einer Verletzung, einer Erkrankung, einem konkreten Schmerz, der kaum noch aushaltbar ist. Die Versorgenden im Gesundheitswesen halten Vieles aus: Sie erfüllen und übertreffen die Anforderungen, retten und heilen Menschen und halten die gesamte Branche über Wasser. Häufig sind sie gleichzeitig damit beschäftigt, ihre eigene Gesundheit über Wasser zu halten. Zahlreiche Verantwortliche in Organisationen tun ihr Möglichstes dafür, flexible Arbeits- und Ausbildungsmodelle zu schaffen und krankmachende Arbeitsbedingungen zu verbessern. Gleichsam stoßen sie an die Grenzen des Systems, ob finanzieller oder struktureller Art. Wie lange geht das noch gut – ob mit Pandemie oder ohne, und angesichts weiterer großer Herausforderungen?

Die Aufgabe für New Work im Gesundheitswesen ist und bleibt es, auf konkrete Schmerzpunkte der Branche Antworten zu finden – und zwar Antworten, die sich von althergebrachten und nur kurzfristig wirkenden Pillen unterscheiden. Nur wenn Entscheidende den Wert neuer Arbeit erkennen, wird eine Offenheit gegenüber anderen Sichtweisen und ein Beschreiten unbekannten Terrains möglich – egal, ob es sich hierbei um ein niedrigschwelliges Experiment mit neuen Tools oder die große Kulturwandel-Initiative handelt. Im Mittelpunkt steht – wie in allen anderen Branchen auch – die Frage: Wie wollen wir in der Zukunft wirklich, wirklich arbeiten? Fakt ist: Die Fähigkeit zu heilen erhalten wir uns nur, wenn wir in der Lage sind, uns selbst zu heilen. Hierfür brauchen wir das Bewusstsein und Energie Aller, unabhängig vom Platz im Organigramm. Dass es sich lohnt, diese Energie aufzubringen, wird #now, im Jahr 2022, an vielen Stellen deutlich.

So ist 2022 das Erscheinungsjahr wegweisender Fachbücher rund um New Work in der Branche: Zum Einen „New Work in der Medizin“ (März 2022) von Vera Starker, David-Ruben Thies und Mona Frommelt. Die Autor:innen haben ein Modell entwickelt, das die sieben Prinzipien „Selbstverantwortung“, „Kooperation der Professionen“, „Partizipative Hierarchie und hybride Führung“, „Sinn“, „Fokussiertes Arbeiten“, „Entwicklung“ und „Soziale Verantwortung“ zusammenführt – ausdrücklich nicht als Blaupause, sondern als Einladung, diese dialogisch unter Einbeziehung der Mitarbeiter:innen in den Kontext der eigenen Organisation zu übersetzen – womit wir wieder beim Wir wären. Das gleiche gilt für „New Work in Healthcare“ (voraussichtlich Juni 2022). Herausgeber Patrick Merke fügt die Perspektiven einer großen Autor:innenschaft aus allen Bereichen des Gesundheitswesens zusammen. Die Expert:innen zeigen anhand eigener Erfahrungen und Erfolgsmodelle: Die Bedingungen für die Beschäftigten im Gesundheitswesen können sich ändern – eine selbstbestimmtere und lebenswerte Arbeitswelt ist an vielen Stellen schon Realität oder hat das Potenzial, diese zu werden.

Noch mehr Mutmacher gefällig? Im Frühjahr 2022 trifft sich die weit über 400 Mitglieder zählende Community „New Work im Krankenhaus“ rund um Julia von Grundherr und Katharina Lutermann bereits zum achten Meetup. Zudem werden die Initiatorinnen das Thema im Rahmen des Klinik-Kongresses „DRG-Forum“ prominent machen – inmitten von Themen wie Krankenhausfinanzierung, Pflegecontrolling und Diskussionen um Fallpauschalen und Mindestmengen. „Worauf du deine Aufmerksamkeit auch legst: Es ist der Ort, an den die Energie des Systems hinfließt – deine eigene Energie eingeschlossen“, so Otto Scharmer. Wie wäre es, wenn wir einen neuen Blick auf die Dinge werfen, denen wir unsere Aufmerksamkeit schenken? Es geht hierbei nicht um ein destruktives Entweder-Oder, sondern um eine wohlwollende Ergänzung – so wie es Sabine Kluge in ihrem Impuls im Rahmen eines WOL Healthcare Workshops ausdrückte: „Wir haben damit begonnen, Hierarchie mit Partizipation anzureichern.“

Apropos WOL Healthcare: Die beziehungsorientierte Lernmethode Working Out Loud, international erfolgreich in zahlreichen Branchen eingesetzt, wurde von John Stepper, Bettina Jung und mir an die Bedürfnisse der Menschen im Gesundheits- und Sozialwesen angepasst. 2022 ist das Jahr, in dem WOL Healthcare bereits in die zweite Runde geht, seine Teilnehmendenzahl im Vergleich zur Pilotrunde fast verdoppelt hat und immer mehr Menschen in unmittelbaren Gesundheitsberufen erreicht und begeistert. „Ich glaube, dass die Menschen, die die besten Verbindungen aufbauen und pflegen, diejenigen sind, die auf der Welt mehr bewirken können“, so John Stepper. WOL fördert mit dem Anspruch #gemeinsam #sichtbar #gestaltend nicht nur die abteilungs-, berufsgruppen-, organisations- und sektorenübergreifende Vernetzung, sondern bietet auch die Möglichkeit, neue Formen des informellen Lernens und der Selbstorganisation in einem vertrauensvollen Rahmen zu üben.

#NewWeNow – das sind gemeinsam beschrittene Wege, die keinen festen Plan brauchen. Genau das zeigt auch das Projekt des Klinikneubaus der Waldkliniken Eisenberg – verfilmt in „Vier Sterne Plus“ und im Frühjahr 2022 auf Kinotournee. Statt eines vordefinierten Plans gab es eine Überzeugung, gemeinsame Werte – und den besonderen Gedanken, dass es möglich ist, das Gesundheitswesen von innen zu revolutionieren, an Gewohnheiten und politischen Vorgaben zu rütteln.

„Halte Dich an die Träumenden, die Mutigen, die Fröhlichen und die Machenden mit ihren Köpfen in den Wolken und den Füßen auf dem Boden.“ (Wilferd Peterson)

Die Idee, zusammen ein neues, positives Zukunftsbild zu formen, verbindet New Worker im Gesundheitswesen miteinander – wohlwissend, dass der Weg dorthin möglicherweise länger und kräftezehrender sein wird als in anderen Branchen. Gerade im Gesundheitswesen geht es darum, (wieder) zu entdecken, was wir „wirklich, wirklich wollen.“ Fassen wir diesen Gedanken noch etwas weiter, indem wir nicht nur den Inhalt und Sinn unserer Arbeit, sondern auch die Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen betrachten, stellt sich die Frage: Arbeiten wir mit den uns umgebenden Menschen so zusammen, wie wir es „wirklich, wirklich wollen“? Wie es gleichermaßen effizient wie energetisierend, wahrhaft „lebensspendend“, ist? Ich bin davon überzeugt: Es ist genau dieses lebendige Wir , in dem unser größtes Potenzial steckt. Es lässt den Mut und das unumstößliche Vertrauen entstehen, unsere Arbeit schrittweise, aber umso wirksamer umzugestalten. Nicht irgendwann, sondern ab #now.


Hier geht es zu allen Beiträgen der Blogparade #NewWorkNow.